“In Kooperation mit Greenplan ist der Weg von der mathematischen Idee bis zum Einsatz in der Praxis sehr kurz.”

Greenplan hat mit Prof. Dr. Jens Vygen vom Forschungsinstitut fรผr Diskrete Mathematik in Bonn รผber die Zusammenarbeit mit einem jungen Tech-Unternehmen gesprochen. Das Interview bietet spannende Einblicke in die effiziente Planung von Touren mithilfe diskreter Mathematik.

Herr Professor Vygen, Sie sind Professor fรผr Mathematik an der Universitรคt Bonn, tรคtig am Forschungsinstitut fรผr Diskrete Mathematik sowie am Hausdorff-Zentrum in Bonn. Ihr Arbeitsgebiet ist die kombinatorische Optimierung. Zusammen mit Professor Korte leiten Sie die seit รผber 30 Jahren bestehende Kooperation โ€žKombinatorische Optimierung im Chip Designโ€œ mit IBM. Seit 2016 besteht nun auch die wissenschaftliche Kooperation mit Deutsche Post DHL zur โ€žKombinatorischen Optimierung in Logistikdienstleistungenโ€œ.

Was hat Sie an dieser besonderen Aufgabenstellung im Logistik-Bereich gereizt?

Die hier auftretenden Kernprobleme, angefangen beim berรผhmten Traveling Salesman Problem (TSP, Rundreiseproblem), sind klassische kombinatorische Optimierungsprobleme mit denen ich mich schon vorher aus theoretischer Sicht beschรคftigt habe und bei denen es immer noch viel zu entdecken gibt. Noch spannender wird es aber, wenn zusรคtzliche Anforderungen aus der Praxis hinzukommen fรผr die mathematische Modelle und Algorithmen erst noch entwickelt werden mรผssen. Mich freut immer, wenn wir durch innovative Mathematik effizientere und ressourcensparende Lรถsungen in der Praxis ermรถglichen. In Kooperation mit Greenplan ist der Weg von der mathematischen Idee bis zum Einsatz in der Praxis sehr kurz.

Was ist Diskrete Mathematik, und wie profitiert der Tourenplanungsalgorithmus von der Expertise Ihres Instituts in diesem Bereich?

Die Diskrete Mathematik analysiert Systeme in denen es nur endlich viele Wahlmรถglichkeiten gibt, die aber so zahlreich sind, dass man sie nicht einfach durchprobieren kann. Ein gutes Beispiel ist das TSP. Wenn Sie von einem Depot aus drei Orte A, B und C anfahren mรผssen, kรถnnen Sie alle mรถglichen Reihenfolgen ausprobieren: ABC, ACB, BAC, BCA, CAB, CBA. Bei 30 statt 3 Orten gibt es aber schon so viele Mรถglichkeiten, dass das selbst mit allen Computern der Welt zusammen Jahre an Rechenzeit brรคuchte. Mit Diskreter Mathematik kann man die optimale Reihenfolge der 30 Orte aber schnell finden. Wir nennen das Kombinatorische Optimierung und in diesem Bereich hat unser Institut eine Spitzenstellung. Gleichzeitig haben wir jahrzehntelange Erfahrung mit industriellen Anwendungen und schreiben Software, die hรถchsten Anforderungen genรผgt.

Was sind Besonderheiten des von Ihnen im Kooperation mit DHL/Greenplan entwickelten Algorithmus?

Wir haben unseren Algorithmus so konzipiert, dass er flexibel ist und garantiert in kurzer Rechenzeit eine Lรถsung findet, die alle Nebenbedingungen einhรคlt. Bei komplexen oder sehr groรŸen Problemen reichen einige Minuten Rechenzeit nicht aus, um das Optimum zu berechnen; wir kommen ihm aber sehr nahe. Dabei arbeiten wir mit einem sorgfรคltig konzipierten allgemeinen Modell auf das man sehr unterschiedliche Anwendungsszenarien abbilden kann. Eine Besonderheit ist auch, dass wir durchweg mit realistischen Fahrtzeiten arbeiten, die nicht nur von Fahrzeugtyp und Weg sondern auch von der Tageszeit abhรคngen. Das macht einige Algorithmen komplizierter, aber nicht unbedingt viel langsamer und es zahlt sich in viel realistischeren und robusteren Lรถsungen aus, vor allem wenn Zeitfenster eingehalten werden mรผssen.

Wie sehen Sie die zukรผnftige Entwicklung in diesem Bereich?

Wir haben stรคndig neue Ideen und entwickeln den Algorithmus laufend weiter. Dabei geht es einerseits darum ihn noch besser oder schneller zu machen, andererseits auf neue Anforderungen aus der Praxis zu reagieren. Beispielsweise konnten wir gerade eine bessere Approximationsgรผte beweisen und wollen nun sehen, was das in der Praxis bringt. Ein anderes Thema sind die Planung mit unvollstรคndigen Daten und die Anpassung einer Tourenplanung an sich ergebende ร„nderungen. Es gibt noch viele weitere Ideen; es wird also sicher nicht langweilig.

Was sichert den Erfolg der Kooperation?

Wir kooperieren wirklich ausgezeichnet und sehr eng miteinander, kommunizieren nahezu tรคglich. Da wir alle in Bonn sind, kรถnnen wir uns auch sehr hรคufig persรถnlich treffen. Wir haben sehr kurze Wege von der mathematischen Idee bis zum Einsatz in der Praxis oder von der neuen Praxisanforderung bis zur Implementierung. Ein wichtiger Faktor ist auch, dass wir als Teil des Exzellenzclusters „Hausdorff Center for Mathematics“ regelmรครŸig herausragende Studierende frรผhzeitig fรผr unser Team gewinnen. Schon jetzt arbeitet einer unserer ehemaligen Doktoranden fรผr Greenplan; weitere werden sicherlich folgen.

Vielen Dank fรผr Ihre Zeit!